Der geneigte SÓLSTAFIR Fan dürfte sich nach dem erfolgreichen, mit Höchstnoten bedachten und viele Male als Album des Jahres gekürten Svartir Sandar schon gefragt haben, wohin sich die Isländer wohl musikalisch weiterentwickeln würden.
Das SÓLSTAFIR aber auf ihrem fünften Album noch einmal solch einen enormen Sprung machen und mit Ótta ein so unglaublich großartiges und inzwischen außerordentlich erfolgreiches Meisterwerk veröffentlichen würden (schon alleine die Chart-Notierungen sind der Wahnsinn), war dann doch nicht zu erwarten. Und wenn dann Frontmann Aðalbjörn Tryggvason in einem Interview konstatiert: “We just made another album...”, dann ist das die Untertreibung des Jahrhunderts.
Dabei hat sich musikalisch gar nicht so viel geändert. Ótta klingt unverkennbar nach SÓLSTAFIR. Ótta ist jedoch rockiger, ist dem Metal Genre ganz und gar entwachsen, ist weiter, epischer. Einflüsse und Inspirationen kommen noch deutlicher zum Tragen. Der nonchalante Western-Stil zum Beispiel, das Banjo, das mich insbesondere beim Titeltrack an die Postrock-Ikonen Crippled Black Phoenix denken läßt, und Nón wiederum an Anathema zu Alternative 4-Zeiten. Aber auch der verstärkt eingesetzte E-Bow gibt der Musik eine faszinierende und einzigartige Note. Streicher-Ensembles und Piano (Miðaftann) unterstreichen den majestätischen Breitwand-Sound. Bei dieser musikalischen Einzigartigkeit, diesem ganz eigenen Sound und der Leidenschaft für das eigene Land kommen mir eigentlich nur Sigur Rós in den Sinn. Diese Leidenschaft reflektiert sich auch im Cover Artwork, einem Foto vom großartigen isländischen Fotografen Ragnar Axelsson (Andlit Norðursins, 2004).
Inhaltlich erfüllt man eine uralte isländische Zeitmessung wieder mit Leben (und Musik), eine, in welcher der 24-Stundentag geachtelt wird, um ein wenig aus der Zeit (und der damit verbundenen Hektik) herauszutreten und dem natürlichen Tagesrhythmus zu folgen. Ótta ist das morgendliche Achtel von 3-6 Uhr. Alle acht Tracks repräsentieren den jeweiligen Abschnitt des Tages. Im Übrigen ein sehr angenehmes Zeitmanagement ;)
Natürlich liefert hier jedes Bandmitglied sein absolut Bestes, aber es ist Sänger Aðalbjörn Tryggvason, der auf Ótta geradezu brilliert, der emotional und vielseitig ist wie nie.
Ótta ist nicht nur ein Meisterwerk, das unumwunden die volle Punktzahl verdient (schon wieder), dieses Mal haben SÓLSTAFIR einen Meilenstein abgeliefert, ein Referenzwerk, das seinesgleichen sucht.
Ótta ist ein Epos, unglaublich schön, melancholisch, mystisch und hypnotisch. Breitwandkino für die Fantasie und die Sinne.
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