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2022-07-02 DE – Gelsenkirchen - Amphitheater
 

| Einlass: 17:00 Uhr | Beginn: 18:00 Uhr | Tickets: 54,00 Euro + Gebühren | AK: 65 Euro |

 

NORDIC NIGHT AT AMPHITHEATER GELSENKIRCHEN - A NIGHT TO REMEMBER

[Dajana] Mit der Veröffentlichung ihres fünften und bisher erfolgreichsten Albums, Kvitravn, wollten WARDRUNA eigentlich schon letztes Jahr auf eine ganz besondere Tour gehen. Nun ja, wir wissen alle, warum das nicht geklappt hat. Aber jetzt ist es soweit. Keine zwei Wochen nach der Mittsommerwende (und nur einem Monat nach dem RHF) dürfen wir nun endlich die Nordische Nacht im :: Amphitheater Gelsenkirchen :: zelebrieren.

:: Impressionen ::

Bei bestem Wetter pilgerten gut 5000 Fans ins Amphitheater, viele davon in nordische oder in klassische Mittelaltergewänder gehüllt. Allerdings verlief der Einlass zäh. Eine kilometerlange Schlange wickelte sich durch den Nordsternpark und viele verpassten somit den Opener. Zumindest konnten sie LINDY-FAY HELLA hören.
Das Merchandise war üppig aber hochpreisig, ebenso die Gastro vor Ort. Hatten wir ja schon beim RHF (Bier/Fanta/Cola 0,4l für 5 Euro plus 1 Euro Pfand). Wird sich auf absehbare Zeit wohl auch nicht ändern.
[Seb] Schwer zu sagen, ob es wirklich voller war als beim RHF, da ja alle auf einmal anreisen mussten und es keinen Campingplatz und weitaus weniger Merch- und Fressstände gab, aber es war schon eindrucksvoll voll. Das Innenrund doch fast auf den letzten Platz besetzt zu sehen, kommt jedenfalls nicht häufig vor!

:: Fotos :: LINDY-FAY HELLA ::

[Dajana] Und dann ist es soweit. Im strahlenden Sonnenlicht eröffnet :: LINDY-FAY HELLA :: die nordische Nacht. Bevor LINDY-FAY HELLA seinerzeit vom Fleck weg vom ehemaligen Gorgoroth-Drummer Einar Selvik nach einem ihrer Auftritte für Wardruna engagiert wurde, hatte sie bereits in Norwegen mit ihrer Stimme für Furore gesorgt und war an vielen Projekten beteiligt. Inzwischen forciert sie aber auch ihre Solokariere und hat nach Seafarer in 2019 im letzten November ihr Zweitwerk Hildring veröffentlicht, vom denen sie hier Songs präsentierte. Begleitet wurde sie von ihrer Band Dei Farne, mit Ausnahme von Sondre Veland, der hier von Wardrunas HC Dalgaard ersetzt wurde. Wunderbare Stimme, auf dieser Open Air Bühne fand ich sie allerdings ein bisschen kraftlos.
[Psycho] Wir schafften es kurz nach Beginn des Sets auch endlich in die Arena – und da stand bestimmt noch ein Drittel der Zuschauer draußen… Das LINDY-FAY HELLA eine fantastische Sängerin ist, war natürlich schon vorher jedem Anwesenden klar, damit konnte beim Opener-Slot also nichts schief gehen. Live fühlte ich mich allerdings (deutlich mehr als auf Tonträger) das eine oder andere Mal an Dead Can Dance erinnert. Keine schlechte Referenz, aber nötig hat sie das eigentlich nicht. Trotzdem ein unterhaltsamer Auftakt.
[Seb] Ein durchaus eindrucksvoller Auftakt, insbesondere der Opener weckte sofort die Assoziationen zu menschenleeren, majestätischen skandinavischen Weiten. Mir gefielen die vornehmlich auf den Gesang fokussierten Stücke deutlich besser, als jene bei denen mehr Band und mehr „Elektronik“ zum Einsatz kamen, wahrscheinlich wollte man einfach ein wenig mehr Abwechslung haben!?
Großartige Stimme! Schade, dass ein erheblicher Teil des Publikums das über den Vorplatz hinweg hören musste .
Band: Lindy-Fay Hella, HC Dalgaard (drums), Ingolf Hella Torgersen (drums), Roy Ole Førland (keys)
Setlist: Tilarids, Hildring, Insect, Seafarer, Los, Mars

:: Fotos :: KALANDRA ::

[Dajana] Von :: KALANDRA :: hatte ich vorher noch nie was gehört, erst im Zusammenhang mit der Wardruna Show. Ein kurzes Reinhören machte aber schnell klar, warum dieses Osloer Quartett so wunderbar zum Package passt, auch wenn man hier musikalisch von Indie Pop spricht.
[Psycho] Mir sagte die Band auch absolut nichts, aber viel hipper kann man aktuell gar nicht aussehen, oder? ;-) Geboten wurde sehr sphärisch-psychedelischer Indie Pop/Rock, der sich eigentlich jeder Kategorisierung erfolgreich widersetzt. Loop-Maschinen und andere technische Hilfsmittel wurden reichlich eingesetzt, aber da die Band musikalisch ihr Handwerk versteht, wurde daraus keine sinnlose Effektorgie, sondern einfach das passende Mittel zum Zweck. Stimmlich konnte Katrine ihrer (Wardruna-)Kollegin Lindy-Fay nicht ganz das Wasser reichen, obwohl es da objektiv nichts zu bemängeln gab. Die Songs selber waren mir allerdings teilweise doch etwas zu strukturlos. Aber KALANDRA hatten zumindest an diesem Abend das Talent, eine sehr entrückte und doch intime Atmosphäre zu erzeugen. Fast meinte man, zu Besuch im Osloer Proberaum zu sein...
[Dajana] Wenn ich ehrlich bin, ich mochte die Stimme von Katrine sogar ein kleines bisschen mehr ;) Sie hatte auch was Hexenhaftes an sich, was später bei Wardruna gut zur Geltung kam.
Ebenfalls knuffig fand ich den Typ, der sich stehenden Fußes in die Dame verknallt hatte und am Backstage-Eingang verzweifelt versuchte, ein Autogramm von ihr zu bekommen ;)
Neben Songs vom Debütalbum The Line (2020) wurde uns an diesem Abend sogar schon ein völlig neuer Track präsentiert :)
[Seb] Optisch und auch thematisch passte die Band zweifellos ins Line-Up, aber die Musik war über weite Strecken nicht das, was man sich unter „nordisch“ oder gar „Wikingern“ vorstellt. Anders angezogen, könnten KALANDRA vermutlich auch, ohne groß für Verwunderung zu sorgen, auf einem Indie-Rock Festival oder dergleichen antreten. Ich hatte im Vorfeld gar nicht damit gerechnet, dass überhaupt eine Band E-Gitarren aufbieten würde. In jedem Fall dürfte dies das erste Mal sein, dass mir die gitarren-lastigste Band bei einem Konzert am wenigstens zugesagt hat.
Zugutehalten muss man der Band und den Veranstaltern, dass das „rein von der Stimme her“ schon gepasst hätte, wenn die Musik weniger „normal“ gewesen wäre.
Band: Katrine Stenbekk (vox), Jogeir D. Mæland (git), Florian B. Winter (git), Oskar Rydh (drums)
Setlist: The Waiting Game, Naïve, Borders, Virkelighetens Etterklang, Ram (unreleased working title), Ensom, Slow Motion, Brave New World

:: Fotos :: EIVØR ::

[Dajana] Auf :: EIVØR :: hatte ich mich ganz besonders gefreut. Ich hatte bereits mehrfach erfolglos versucht, diese Ausnahmekünstlerin live zu sehen. EIVØR wird ja schon mal gerne als die Björk der Färöer Inseln beschrieben und das passt von ihrer musikalischen Einzigartigkeit her ja auch ganz gut. Aber ich sehe auch ein bisschen was von Tori Amos in ihr, oder Adele, sogar Amy Lee. EIVØR ist darüber hinaus auch unglaublich kreativ mit einem Wahnsinns Arbeitspensum. 9 Alben hat sie mittlerweile veröffentlicht, ihr aktuellstes, Segl in 2020, dazu EPs, viele Splits/Kooperationen, Live-Alben und Soundtracks.
Und was soll ich sagen? Was für eine Wahnsinns-Stimme! Was für eine Präsenz! Nur von ihrem Keyboarder Mattias Kapnas begleitet, mit Tamburin, Ukulele und ein Loop-Board vor den Füßen, präsentierte EIVØR - leider ebenfalls nur für ca. 35 Minuten - ihre Songs.
[Psycho] Die NORDIC NIGHT war ja genaugenommen eine Gesangsveranstaltung. Natürlich nicht als Wettbewerb ausgelegt, aber wenn man den Gedanken unbedingt verfolgen wollte, käme dabei EIVØR als Siegerin hervor. Stimmlich enorm abwechslungsreich und ausdrucksstark, glänzte sie zudem noch mit satter Bühnenpräsenz und tollen, emotional dargebotenen Songs. Den Björk-Vergleich hört und liest man ja immer wieder, aber gerade live hat sie mich doch eher an Kate Bush erinnert. Beides Vergleiche, denen sie problemlos standhält, ohne dabei als irgendeine Kopie durchzugehen. Dafür, dass hier tatsächlich nur zwei Musiker auf der Bühne standen, wurde sogar verhältnismäßig wenig geloopt, was dieses Erlebnis aber nur noch intensiver machte. Leider war es dann (zu) schnell auch schon wieder vorbei, von EIVØR hätte ich gerne noch mehr gesehen!
[Seb] Noch bevor EIVØR mich mit ihrer Stimme beeindrucken konnte, muss ich zugeben, dass mein erster Gedanke der an das „Tier“ aus der Muppet-Show war, als ich ihren Keyboarder tief vornübergebeugt und wild vor-und-zurück-wackelnd vor seinem Instrument sah, hehe. Ansonsten habe ich den Lobpreisungen von Dajana (die im absoluten Fan-Girl-Modus aus dem Fotograben kam) und Psycho nicht viel hinzuzufügen. Die Dame ist schon ausnehmend talentiert und ist dazu noch mit beeindruckender Ausstrahlung gesegnet. Wie viele ihrer Emotionen in den Stücken enthalten sind, konnte man vor allem bei ihrer Liebeserklärung an das Meer (Salt) und an dem komplett ohne Begleitung vorgetragenen letzten Stück Trøllabundin erkennen.
Wirklich eine seltsame Entscheidung, auch EIVØR nicht mehr als eine halbe Stunde zuzugestehen, sie und das Publikum hätten jeweils mehr verdient gehabt. Ich bin sicher, die folgende Umbaupause hätte man auch zügiger gestalten können.
[Dajana] Definitiv! Das war viel, VIEL zu kurz!
Band: Eivør Pálsdóttir, Mattias Kapnas
Setlist: Gullspunnin, Silvitni, Salt, Tides, True Love, Lívstræðrir (Soundtrack), Trøllabundin

:: Fotos :: WARDRUNA ::

[Dajana] Was eigentlich als Jubiläumsshow zum 10-jährigen des Debüts Runaljod – Gap Var Ginnunga gedacht war, könnte nun quasi als nachgeholte Release-Show für Kvitravn durchgehen, oder als Vorfeier zum 20-Jährigen Bandjubiläum ;) Egal, Hauptsache :: WARDRUNA :: stehen endlich auf der Bühne.
[Psycho] Trotz aller bis dato gebotenen Qualität wurde schnell klar, dass der Großteil der Anwesenden genau genommen nur wegen einer Person gekommen war: Einar Selvik. Das hatte teilweise schon Anflüge von Personenkult, was auf mich doch eher befremdlich wirkte. Jedenfalls konnten er und WARDRUNA auch trotz Pandemie ihre Popularität massiv ausbauen, was nicht zuletzt an der geschickten Medienpräsenz während der konzertlosen Zeit lag.
Da mag man schnell von Hype reden, aber falls jemand das glauben sollte (sicher niemand der an diesem Abend Anwesenden), dann beendete dieser Auftritt solche Verdächtigungen im Nu. Die Band konzentrierte sich komplett auf die Musik, ist technisch absolut topp und erzeugte somit bei wirklich jedem Song Gänsehaut. Im Gegensatz zu einigen gestreamten Konzerten während Corona stand Einars Stimme bei den gemeinsam gesungenen Passagen diesmal nicht so präsent im Vordergrund. Dies war aber kein Nachteil, sondern stärkte eher noch die dabei erzeugte Stimmung.
Natürlich wurde auch hier mit reichlich Elektronik nachgeholfen, aber wie Einar in einer seiner (beiden einzigen) Ansagen betonte, ging es ihm u.a. immer darum, die Musik von früher ins jetzt zu transportieren, um sie für die Menschen zu bewahren. Was ihm und der Band wahrlich eindrucksvoll gelang…
[Seb] Bei WARDRUNA wurde endlich der zuvor angeblich wegen Windes nicht einsatzbare Backdrop hochgezogen, und eingedenk der folgenden Show wäre es auch eine Schande gewesen wenn nicht: Die Lichteffekte, Schattenspiele und Video-Einspieler haben die ohnehin schon großartige Show noch einmal optisch aufgewertet.
WARDRUNA
eröffneten zu hypnotischem und von düsteren Trommeln unterlegtem Gesang, noch ohne viele der mit auf die Bühne gebrachten Instrumente zu verwenden. Im Verlaufe des Konzerts sollten dann, meist in einer für das jeweilige Stück dominierenden Rolle, Fidel, Maultrommel, Lyra (glaube ich, klang stellenweise auch wie eine urtümliche Zither), Widderhörner, bronzene Kriegshörner, Flöten, hölzerne Schlaginstrumente etc. hinzukommen.
Besonders hervorzuheben war dabei sicherlich zum einen Einars Solo an zentraler Position des Sets, wo er nur sich selbst begleitend und vor einer riesigen Projektion seines Kopfes ein klagende und wehmütige Voluspá zum Besten gab. Nach dem von Kriegshörnern getragene und alleine dadurch optisch beeindruckende Tyr dann das zweite: das von Lindy-Fay Hella begonnene Stück Isa, mit von mir als Andeutung von Regentropfen verstandenen Effekten, in dessen Verlauf sie und Einar sich im Spotlight abwechselten, um am Ende zu einem Duett zusammenzukommen..
Leider wurde es erst ab der Mitte des Sets allmählich dunkel, so dass die mit sehr einfachen Mitteln erzeugten, aber äußerst wirkungsvollen Bühneneffekte nur für die letzten Stücke in vollem Umfang zu genießen waren. So wurde die Bühne zu dem von Kriegshörnern getragene UruR geradezu in pulsierende Glut verwandelt, während Rotlaust tre fell unter Bühnennebeln und Lichtblitzen die Stimmung eines nordischen Gewitters vermittelte
.
Nach etwas mehr als einer Stunde erfolgte dann unter Standing Ovations die allererste Ansage, in der Einar unter zwar zum Teil witzigen („I might do Britney Spears“), aber überwiegend sehr ernsten und emotionalen Worten zunächst allgemeiner Art (Dank an sein Team, einiges zur aktuellen Lage, die er treffend mit „The world is a mess“ zusammenfasste) mit Helvegen zum Thema der ersten Zugabe, einem langen und ergreifenden Stück über den Tod und den Abschied („Singing is Medicine“), überleitete. Natürlich hatte das Publikum auch danach noch nicht genug, so dass Einar am Ende noch mit Snakepit Poetry zu einem Solo auf die Bühne zurückkehrte: Ein Stück über Ragnar Lodbrok (Einar hat (natürlich) auch zum Soundtrack von Vikings beigetragen und erklärte, dass nordische Kriegs-Poesie die Texte durchschnittlichen Black Metals wie Kindergedichte erscheinen ließe), den in der Schlangengrube angesichts des Todes die Lyrik übermannte.
Leider musste danach endgültig Schluss sein, und mit den Worten „Take care of yourself“ wurden wir viel zu früh in den Samstagabend entlassen.
Ich hatte vorher nur eine sehr vage Ahnung was genau mich erwarten würde, und sage nur so viel: Falls die Band noch einmal in die Nähe kommen sollte, werde ich garantiert dabei sein. Großartig!
[Dajana] Ich kann dem nur zustimmen! Was für ein grandioses Konzert! Definitiv eines, das in meine Bestenliste eingeht und an das ich mich lange erinnern werde. A NIGHT TO REMEMBER!
Band: Einar Selvik, Lindy-Fay Hella, Arne Sandvol, Eilif Gundersen, HC Dalgaard, John Stenersen, Katrine Stenbekk
Setlist: Kvitravn, Skugge, Solringen, Bjarkan, Heimta Thurs, Raido, Lyfjaberg, Voluspá (Einar solo), Tyr, Isa, UruR, Grá, Rotlaust tre fell, Fehu, Odal // Helvegen // Snakepit Poetry (Einar solo)

 

 

Story • Seb, Psycho, Dajana • pics © Dajana & Dajana Winkel • Photography