<< archive
 

 
2005-06-15 DE – Berlin - Columbiahalle

Eines Tages trudelte der NINE INCH NAILS Newletter mit der Auflistung der Tourdaten und einem entsprechenden Hinweis, dass es einen kurzfristigen inoffiziellen „Vorabvorverkauf“ geben würde in mein Emailpostfach ein. Also hieß es schnell reagieren: Kollegen zusammentrommeln, minutengenau zum Start des Verkaufs vorm Rechner sitzen, Flug buchen und ab zum einzigen und natürlich später ausverkauften Hallenkonzert der With Teeth Tour nach Berlin jetten, ungeachtet jeglicher finanziellen Engpässe, denn der Großmeister des Industrialrocks bittet ja wahrlich nicht alle Tage zur konzerttechnischen Generalaudienz – die letzte reguläre Tour zu einer Albumveröffentlichung fand Ende 1999 statt.
Die Columbiahalle entpuppte sich als vergleichsweise kleine Location für ein solches Konzert und durch die große Empore sowie kompakte Bauweise bot sich gute Aussicht auf die Konzertbühne. Also beste Rahmenbedingungen für ein Konzert, auf das man sich lange gefreut hatte.

:. THE DRESDEN DOLLS ~ enterten ohne größere Verzögerungen mit ihrem „Brechtian Punk Cabaret“ die Bühne. Bereits im Vorfeld habe ich mich gefragt, ob die eigenwillige Soundkomposition aus Piano und Schlagzeug den Nerv der Nine-Inch-Nails-Fans treffen werden würden. Eben jene zeigten sich jedoch aufgeschlossen und spendeten dem Duo begeisterten Beifall. Und das zurecht, denn auf der Bühne bot sich ein skurriles Bild: Sängerin Amanda hockte ganz in Punkmanier teils in breitbeinigen Posen, rotzend und den Mikroständer umschmeißend mit großartiger Mimik hinter ihrem Stagepiano, während Schlagzeuger Brian nicht weniger poserhaft auf sein Drumkit eindrosch. Besondere Highlights waren die Liveinterpretation von Coin-Operated Boy mit ausgedehntem „Springende-CD-Effekt“, eine tolle Coverversion von Black Sabbaths War Pigs und eine Interpretation von Berthold Brechts Was bekam des Soldaten Weib? in fast fehlerfreiem Deutsch von der Bostoner Combo.

Die anschließende Umbaupause war mit gerade mal 20 Minuten unglaublich kurz, ist man doch sonst eher von solchen Bands sich in extreme Länge ziehende Soundcheck- und Aufbauorgien gewohnt. Viel Aufzubauen gab es auch nicht, denn die Bühne war im Vergleich zur The Fragile Tour sehr schlicht gestaltet: Keine Videoleinwände und kein Vorhang, stattdessen nur eine Wand von vertikal angeordneten Lichtsäulen. Die Umbaupausenmusik von unter anderem Joy Division ging nahtlos in ein Sprachintro über und auf einmal wurde das Licht gedämpft, Pianoklänge von The Wretched erklangen und Mastermind… also sozusagen…

:. NINE INCH NAILS ~ in Person Trent Reznor wurde von einem Spot angestrahlt. Es konnte also losgehen. Aber was war aus Mr. Reznor geworden? Er wirkte extrem durchtrainiert und man konnte zur Vermutung kommen, dass er die letzten Jahre seinen Drogenentzug mit Hanteltraining kompensiert hat. Twiggy Ramirez hatte seine Frauenkleider aus Zeiten als Gitarrist von Marilyn Manson zu Hause gelassen und hielt sich wie Drummer Jerome Dillon und der in einer Synthieburg verborgene Allessandro Cortini eher im Hintergrund. Dafür gab der neue Gitarrist Aaron North alles. Unglaublich, in welchen Verrenkungen und Sprungeinlagen der Kerl noch Gitarre spielen kann. Über die Länge des Konzertes wirkte es aber schon etwas übertrieben. Sein Gitarrenspiel konnte aber Akzente im Sound setzen, wirkte aber bei den elektronischeren Liedern wie Closer etwas überpräsent.
Die Band legte viel Power an den Start, zeigte gerade bei den härteren, schnellen Songs ein gutes Zusammenspiel und zog ihr Set ohne Pausen und Zugaben eiskalt durch, was den Fans einiges abverlangte, denn nach Klassikern der Bandgeschichte wie March Of The Pigs oder Gave Up neben der aktuellen Single The Hand That Feeds machte sich saunaartiges Klima in der Columbiahalle breit. Da war es wirklich geradezu erlösend, dass die Ballade Something I Can Never Have eine kurze Atempause bot. Zum Ende des Sets hin breiteten sich auch leichte Ermüdungserscheinungen bei den Fans aus, denn der Anteil der Hüpfenden wurde immer geringer. Generell erinnerte die Songauswahl von den Klassikern her an die letzte Tour, es wurden aber auch einige Stücke vom aktuellen Album gespielt und es ist schön, dass Songs wie Reptile auch noch nach zehn Jahren im Liveprogramm zu finden sind. Den zu erahndenden Höhepunkt des Konzertes bildete eine absolute und mal wieder kaum zu toppende Gänsehautversion von Hurt.
Ein gemeinsames Gitarrenkaputtmachen beschloss den Gig und machte klar, dass das Publikum keine Zugaben erwarten dürfte.

Fazit: Der aufwändige Trip nach Berlin hat sich vollends gelohnt. Ein geniales Konzert, das ich nicht so schnell vergessen werde...

 

story © Daniel